Die Flügel sind schon recht kräftig


Im Lychener Stadtwald haben Vogelschützer fast flügge Seeadler beringt.

Ein Bergsteiger musste dazu in luftige Höhen hinauf. Den Naturschützern ist eines klar: Der Horst der imposanten Greifvögel ist gefährdet und muss schnellstens stabilisiert werden.


Junger Seeadler hat schon Kraft

UCKERMARK. Paul Sömmer opfert fast jedes Wochen­ende für Greifvögel. Das ist für den Leiter der Greifvogelschutzstation Woblitz bei Himmelpfort seit Jahren ungeschriebenes Gesetz. In diesen Wochen werden jun­ge Falken, Milane, Eulen und Adler flügge und erhalten Kennringe. Besonders erfreu­lich für Sömmer und die vie­len ehrenamtlichen Helfer: Im Lychener Stadtwald hat ein Seeadlerpärchen zwei Junge aufgezogen. Die sollen beringt werden, bevor sie flugtauglich sind. Sömmer weiß, dass Seeadlernachwuchs nicht selbstverständ­lich ist. Zwischen 1990 und 2013 wurden für die Länder Brandenburg und Berlin 415 Verluste von Seeadlern doku­mentiert. Tendenz steigend.

Der Seeadler ist auf der Ro­ten Liste als gefährdete Greif­vogelart in Deutschland ein­gestuft. Zurzeit leben etwa 360 geschlechtsreife Paare (Brutpaare) in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Schles­wig-Holstein. Von mehreren Horsten zwischen Oberhavel, Uckermark und Meck-enburg-Strelitz weiß der Vogelschützer, dass dieses Jahr kein Nachwuchs zu er­warten ist. Umso größer die Aufmerksamkeit für diese Zweierbrut.

Ein mannshohes Bauwerk in 30 Metern Höhe

„Die Ringe sind das eine", sagt der Spezialist. „Zugleich liefert uns so eine Aktion Einblicke ins Brutverhalten, die Jungvogelaufzucht, das Nahrungsspektrum, den Ge­sundheitszustand der Jung­vögel und mehr." Ein ande­rer Aspekt bei den Lychener Seeadlern wird deutlich, sobald man des gewaltigen Horstes ansichtig wird. Das mannshohe Nestbauwerk aus Knüppeln, Ästen, Zwei­gen und Gras ist in der Kro­ne einer großen Waldkiefer positioniert, die unmittelbar am Rand eines Moores steht.

Der Standort ist auf den ersten Blick idyllisch. Woll­gras und Sumpfporst blü­hen großflächig zwischen riesigen Binsenbüscheln. Waldwege gibt es nicht, es herrscht himmlische Ruhe, der An- und Abflug ist für die Altvögel ideal. Doch der etwa 30 Meter hohe Baum mit der abgebro­chenen Krone hat sich bedenklich geneigt. Der Uferbereich des wiedervernässten Moores ist aufgeweicht. Man ahnt, unter welcher Spannung das Stammholz und der Wurzelbereich angesichts des sicher mehr als eine halbe Tonne schweren Horste stehen. Ein Sturm oder ergiebiger Niederschlag könnte das Nest akut gefährden. Stadtförster Hilmar Alexandrin der sich die Beringungsaktion nicht entgehen lässt, hat spontan einen Vorschlag: „Wie wäre es, wenn wir den Horstbaum im Kronenbereich mit zwei benachbarten großen Kiefern mit Selen verspannen?“, fragt er und bekommt sofort Zustimmung. Im Herbst soll die Kiefer stabilisiert werden.

Beringung von Seeadlern durch Paul Sömmer und Wolfgang Strehlow

Jungtiere weichen vorm Ankömmling zurück

Wie man zumindest an den Rand des Adlerhorstes ge­langt, ohne Vögel und Nest zu gefährden, demon-striert André Laubner. Der drahti­ge 50- Jährige, aktiver Berg­steiger und beruflich in der Baumpflege tätig, ist ein Leichtgewicht. Trotzdem müssen seine 65 Kilo Körper­gewicht plus Kara- binerha­ken, Gurte, Arbeits-geräte und Seile erst einmal in 30 Meter Höhe gebracht werden, Der Berliner zieht sich an einem von ihm installierten Seil­system Meter für Meter nach oben -- bis an den Rand des Horstes. Hineinzuklettern ist fast unmöglich und auch nicht erforderlich, obwohl beide Jungadler vor ihm zu­rückgewichen sind.

  Laubner „angelt" die Jun­gen mit einer Holzstange mit Haken zu sich heran. Einzeln werden sie in einen Sack ge­steckt und vorsichtig zur Erde gelassen. Dort werden sie von Paul Sömmer und Wolfgang Strehlow, Hobbyornithologe und Horstschutzbeauftragter für See- und Fischadler in der Uckermark, in Augenschein genommen. 45 bis 50 Tage alt schätzen beide die Tiere, die nach Ausprägung der Fänge und der Schnäbel höchst­wahrscheinlich männlich sind. 4250 und 4005 Gramm zeigt die Digitalwaage an.

  Die zehnjährigen Schüle­rinnen Tina und Mathilda dürfen dem Spektakel bei­ wohnen und auch mal sanft Kontakt zu den braungefiederten Greif­vögeln aufnehmen. Deren Flügel müssen noch wach­sen. Nach 38 Tagen Brutzeit bis zum Schlupf und 75 Ta­gen Horstaufenthalt werden sie erst mit 80 bis 90 Tagen kurze Strecken fliegen kön­nen. Doch auch dann sind die Jungadler noch nicht so groß wie die Altvögel, die während der Beringungsaktion mit Beute in den Fängen ungeduldig"über dem Horst kreisen. 240 Zentimeter Flügelspann­weite können Seeadler errei­chen. Mathilda breitet ihre Arme aus: 140 Zentimeter - noch lange kein Adlermaß.

  Nach hundertfach prak­tizierten Handgriffen mit Spezialzangen tragen die beiden Lychener Adler leich­te Metallringe. Als AV55 und AV56 zieht Andre Laubner sie wieder nach oben und setzt sie im Horst ab. In wenigen Sekunden hat sich der Vogel­schützer abgeseilt und bringt Erkenntnisse über den Spei­seplan der Seeadler mit nach unten aus dem - wie er meint - pieksauberen Nest.

  Paul Sömmer identifiziert die Kopfplatte eines Hechtes, Federn einer Lachmöwe und Fellreste von einem Fuchs. Durchaus normal für den Fisch- und Wasservogeljäger und Aasfresser. Den Schü­lerinnen hat Laubner eine Schwingenfeder von einem Altvogel mitgebracht. Die beiden staunen: so groß und so weich. Ein dicker Kiel zum Schreiben. Die Feder wird sie immer an den Tag erinnern.

  Im Hintergrund freut sich bescheiden und zurück­haltend ein weiterer Beob­achter. Fredy Bock von der Lychener Naturwacht hatte als Erster vor mehr als sieben Jahren Kenntnis von den nis­tenden Adlern. Er war damals auf Fotopirsch an dem Moor unterwegs und verfolgte den Anflug der Seeadler, bis ihm schließlich bei genauerem Hinsehen der Horst ins Auge stach. Nur wenige Natur­freunde und Vogelschützer wurden seitdem eingeweiht, um die Tiere nicht zu beun­ruhigen. 300 Meter schreibt das Naturschutzgesetz als Mindestabstand zu Seeadlerhorsten vor. Brennholzwerber hatten in diesem Frühjahr an anderer Stelle in unmittelbarer Nähe eines Seeadlerhorstes eine Buche aufgearbeitet - und damit die Adler so in Unruhe versetzt, dass sie nicht mehr brüteten.

 

Mecklenburgische Seenplatte ist heiß begehrt

Ob die beiden Lychener See­adler einen Partner und ein Revier in der Uckermark oder in MV, dem Bundesland mit der stärksten Verbreitung dieser Vogelart, finden, kann möglicherweise aufgrund ihrer Kennringe beobachtet werden. Gut besetzt sind die Seeadlerreviere im Gebiet des Schweriner Sees, der Meck­lenburgischen Seenplatte, dem Peenetal zwischen Demmin und Anklam, am Stetti-ner Haff sowie in den höhe­ren, bewaldeten Lagen der Mecklenburgischen Schweiz.

  Größte Vorkommen dieser imposanten Vögel weisen in­des der Raum Mirow in der Feldberger Seenlandschaft und der Müritz National­park auf. Die jungen Adler werden es in der Uckermark wie in Mecklenburg-Vorpom­mern nicht leicht haben, sich durchzusetzen.

 

Obiger Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der TEMPLINER ZEITUNG (Lokalteil des UCKERMARK KURIER vom 08.06.2015) entnommen.

Zuletzt geändert: 20.03.2016